Dieser Kontrabass spricht viele Sprachen
by Wilhelm Klotzek
Wohin die Reise beim modernen Jazz geht, hat das Trio um den israelischen Bassisten Avishai Cohen am Freitagabend in Berlin aufgezeigt. Dieser Ansicht ist Wilhelm Klotzek, der in den ausgefeilten Klängen fast Wörter erkennen konnte.
Avishai Cohen gilt derzeit als einer begabtesten Bassspieler weltweit. 1970 in Israel geboren ging er mit Anfang zwanzig nach New York. Nach anfänglich eher durchwachsenden Jahren als Bauarbeiter und Möbelpacker, landete er Mitte der 90er Jahre beim legendären Jazzpianisten und Komponisten Chick Corea und stand in diversen Nebenprojekten mit Musikern wie Herbie Hancock gemeinsam auf der Bühne. Mit seinem 2008 erschienen Album “Gently Disturbed” ist Cohen der Durchbruch auch als Komponist gelungen – in Jazz-affinen Ländern wie Frankreich oder in der Schweiz hat er inzwischen fast schon Star-Status.
Rythmus nimmt langsam Fahrt auf
Am Freitagabend gastiert Avishai Cohen im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, um sein im Juni erschienenes Album “Arvoles” vorzustellen. Recht puristisch wirkt die kleine Bühne in der Mitte des Raumes, auf der ein Flügel, ein Schlagzeug, ein Kontrabass sowie ein dazugehöriger Verstärker auf ausgeblichenen Teppichen steht. Die Türen des Saals werden geschlossen, der Raum verdunkelt sich und die drei Musiker betreten die angenehm ausgeleuchtete Bühne. Ohne kurz aufzuschauen setzen sie zusammen ein – nach einem kurzen Intro folgt die erste Komposition des neuen Albums.
Der Schlagzeuger wechselt vom Besen zu seinen hölzernen Drumsticks, der Rhythmus wird konkreter, die Reise nimmt an Fahrt auf. Schon im ersten Song “Nostalgia” tut sich nach kurzer Zeit ein Raum auf, bestehend aus zurückhaltendem Piano und bedächtig fortschreitenden Schlagzeug, der dem Kontrabass von Avishai Cohen Platz schafft, um zu sprechen. Und das tut das Instrument mit seinem Interpreten auf beeindruckende Weise: Avishai entlockt dem Kontrabass melodiöse Verrenkungen und flüsternde Töne, um ihm am Ende, auf dem Korpus klopfend, wieder mit seinen Mitmusikern verschmelzen zu lassen.
Cohen flitzt auf seinem Kontrabass rauf und runter
Das gespannt lauschende Publikum bedankt sich anerkennend nach fast jeder virtuosen Ausführung des Bassisten und seiner Mitmusiker. Hier und da ist sogar ein “Yeah!”-Ruf zu hören.
Das intensive und konzentrierte Zusammenspiel des Trios packt die Zuhörer. Die Komposition “Wings” beginnt mit flotten Swing-Jazz-Elementen. Kurz darauf flitzt Avishai auf seinem Kontrabass rauf und runter, ja fast schon aus dem Saal. Der Schlagzeuger schnipst dazu seine Becken akzentuiert, während der Pianist die passend verquer klingenden Akkorde liefert. Das melodiöse Auseinanderbrechen ist gefolgt von einer Einlage des Pianisten, der, dem Kontrabass gleich, bei seiner Ausführung auch fast “wegrennt”, aber vom Schlagzeuger eingeholt wird. Dieser setzt an zum Trommelwirbel auf der Snare, und entlädt sich in einem beeindruckendem Solospiel unter dem Beifall des Publikums.
Weg in die Zukunft des Jazz
Avishai Cohen ist – und das wird im Laufe des Konzertabends immer klarer – einer der besten Bassisten, die es zur Zeit gibt. Immer wieder entreißt er dem Kontrabass neue Klangfarben und Stimmungen, bis hin zu den Momenten, in denen man glaubt, das Instrument finge an zu erzählen. Ja, sogar verschiedene Sprachen glaubt man zu hören, während Cohen sein Instrument innig umarmend bespielt. Mühelos springt der Komponist mit seinen Mitstreitern zwischen verschiedenen Tempi, Stilen und Dynamiken innerhalb einer Komposition hin und her. Es ist ein eindrucksvolles Konzert.
Mit diesen spielerischen Fähigkeiten scheint sich Avishai Cohen mit seinem neuen Album den Weg in die Zukunft des Jazz zu bahnen. Sein Jugendfreund Noam David am Schlagzeug und der aus Aserbaidschan stammende Pianist Elchin Shirinov sind an diesem Abend in Berlin seine besten Begleiter.